Exothese und das konzept "kulturelle praktik". Analyse der visuellen wahrnehmung des kirchenraumes und seiner verbalen bezeichnung. Kirchenraum als religiöser konstituiert wird, ort von Christusdarstellungen und architekturgeschichtlicher zusammenhan

Exothese und das konzept "kulturelle praktik". Analyse der visuellen wahrnehmung des kirchenraumes und seiner verbalen bezeichnung. Kirchenraum als religiîser konstituiert wird, ort von Christusdarstellungen und architekturgeschichtlicher zusammenhang.

Ðóáðèêà Èíîñòðàííûå ÿçûêè è ÿçûêîçíàíèå
Âèä ñòàòüÿ
ßçûê íåìåöêèé
Äàòà äîáàâëåíèÿ 23.01.2022
Ðàçìåð ôàéëà 6,5 M

Îòïðàâèòü ñâîþ õîðîøóþ ðàáîòó â áàçó çíàíèé ïðîñòî. Èñïîëüçóéòå ôîðìó, ðàñïîëîæåííóþ íèæå

Ñòóäåíòû, àñïèðàíòû, ìîëîäûå ó÷åíûå, èñïîëüçóþùèå áàçó çíàíèé â ñâîåé ó÷åáå è ðàáîòå, áóäóò âàì î÷åíü áëàãîäàðíû.

Ðàçìåùåíî íà http://www.allbest.ru/

Exothese als erhebungs methode und analysegrundlage

Reinhold Schmitt, Institut für Deutsche Sprache; Reinhard Fiehler, Pädagogische Hochschule Heidelberg; Serap Öndüc, Universität Koblenz-Landau

Abstract

`Thinking aloud' as a tool for data collection and basis for analysis

Reinhold Schmitt, Institute for the German Language; Reinhard Fiehler, Pedagogic University of Heidelberg; Serap Ondtic, University of Koblenz-Landau

On the basis of video records of church attendance, in which `thinking aloud' was used as a method of collecting data, this paper analyses the similarities and differences in the church attendance of Aurelia, Saskia and Anton. They viewed the same church and - this was the explicitly stated task - accompanied their visual perception by verbal comments and descriptions of the church interior. The ultimate goal of the analysis of `thinking aloud' was the reconstruction of the underlying concepts of the attendance, which are largely based on relevancies that the viewers bring along.

After outlining the focus of this paper and placing our approach within the context of relevant research, we identify the similarities of the forms of `thinking aloud' and their functions exhibited in the three church attendances. We then focus on the differences and particularities of the three attendances and identify three independent, inherently conclusive concepts of attendance. These concepts are each characterized by their independent constitution of the church interior during its attendance. We've shown that the church interior is constituted as a religious functional space (Aurelia), as a place of representations of Christ (Saskia) and as an architectural historical context (Anton). The model-like independency of the concepts became clear exclusively through the use of `thinking aloud'. This method of verbally addressing topics alongside one's visual perception is therefore an important tool for data collection and a technique to access situated cognition within the context of multimodal cultural practices.

Key words: multimodality, multimodal analysis of interaction, church attendance, cultural practice, interactionist analysis of space, thinking aloud, language, cognition.

Àííîòàöèÿ

«Ðàçìûøëåíèÿ âñëóõ» êàê ìåòîä ñáîðà äàííûõ è îñíîâà êîãíèòèâíîãî àíàëèçà

Ðàéíõîëüä Øìèòò, Èíñòèòóò íåìåöêîãî ÿçèêà; Ðàéíõàðä Ôèëåð, Ïåäàãîãè÷åñêèé óíèâåðñèòåò Õàéäåëüáåðãà; Ñåðàï Åíäè÷á Óíèâåðñèòåò Êîáëåíö-Ëàíäàó

 ñòàòüå íà îñíîâå âèäåîäîêóìåíòîâ àíàëèçèðóåòñÿ ïîñåùåíèå öåðêâè, â ïðîöåññå êîòîðîãî ó÷àñòíèêè ýêñïåðèìåíòà âèçóàëüíî âîñïðèíèìàþò ïðîñòðàíñòâî öåðêâè è âåðáàëüíî åãî îáîçíà÷àþò è îïèñûâàþò îáúåêòû, íàõîäÿùèåñÿ â ïîëå èõ èíäèâèäóàëüíîãî âíèìàíèÿ. Ïðîöåññ âåðáàëüíîé èäåíòèôèêàöèè îáúåêòîâ, èëè ýêçîòåòè÷åñêîå ãîâîðåíèå (îçâó÷èâàíèå ìûñëåé, ãîâîðÿùàÿ ðåôëåêñèÿ), âûðàæàåòñÿ â ïîíÿòèè ýêçîòåçû, êîòîðàÿ ëåæèò â îñíîâå ìåòîäà ñáîðà äàííûõ è îäíîâðåìåííî ïðåäñòàâëÿåò ñîáîé áàçó äëÿ ïðîâåäåíèÿ ýìïèðè÷åñêîãî êîãíèòèâíîãî àíàëèçà.

Öåëüþ àíàëèçà ýêçîòåòè÷åñêîãî ãîâîðåíèÿ ÿâëÿåòñÿ ðåêîíñòðóêöèÿ êîíöåïòîâ, ðàñêðûâàþùèõ îáùèå è èíäèâèäóàëüíûå êîãíèöèè, ôîðìèðóåìûå ó ïîñåòèòåëåé öåðêâè è ñâÿçàííûå ñ âîñïðèíèìàåìûì ìèðîì è ñ âîëåé ÷åëîâåêà.

 ðåçóëüòàòå èññëåäîâàíèÿ îáùèõ ýêçîòåòè÷åñêèõ ôîðì, ôóíêöèé è èõ ðàçëè÷èé ó òðåõ ïîñåòèòåëåé öåðêâè àâòîðû âûäåëèëè òðè êîíöåïòà, îòëè÷àþùèå èíäèâèäóàëüíîå âîñïðèÿòèå ïðîñòðàíñòâà öåðêâè: öåðêîâü êàê ôóíêöèîíàëüíîå ðåëèãèîçíîå ïðîñòðàíñòâî, öåðêîâü êàê ìåñòî, â êîòîðîì èçîáðàæàþòñÿ ôðàãìåíòû æèçíè Èèñóñà Õðèñòà, è öåðêîâü êàê àðõèòåêòóðíî-èñòîðè÷åñêèé îáúåêò. Ìåòîä ýêçîòåçû äàë âîçìîæíîñòü àâòîðàì íå òîëüêî ñìîäåëèðîâàòü êîíöåïòû è âûÿâèòü èõ ñâîåîáðàçèå, íî è èçó÷èòü ôîðìèðîâàíèå ñèòóàòèâíî îáóñëîâëåííûõ êîãíèöèé, ñâÿçàííûõ ñ êîìïëåêñîì îñóùåñòâëåíèÿ êóëüòóðíûõ ïðàêòèê.

Êëþ÷åâûå ñëîâà: ìóëüòèìîäàëüíîñòü, ìóëüòèìîäàëüíûé àíàëèç èíòåðàêöèè, ïîñåùåíèå öåðêâè, êóëüòóðíàÿ ïðàêòèêà, èíòåðàêöèîííûé àíàëèç ïðîñòðàíñòâà, ýêçîòåòè÷åñêîå ãîâîðåíèå, ÿçûê è êîãíèöèÿ.

Abstract

Auf der Grundlage videodokumentierter Kirchenbesichtigungen, bei denen exothetisches Sprechen als Erhebungsmethode eingesetzt wurde, analysiert der Aufsatz Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Kirchenbesichtigungen von Aurelia, Saskia und Anton. Alle haben dieselbe Kirche besichtigt und ihre visuelle Wahrnehmung des Kirchenraums - das war die explizit formulierte Aufgabe - durch verbale Kommentare und Beschreibungen begleitet. Übergeordnetes Ziel der Analyse des exothetischen Sprechens war die Rekonstruktion der den Besichtigungen zugrundeliegenden Konzepte, die zum Großteil in mitgebrachten Relevanzen begründet sind.

Nach der Skizzierung unseres zentralen Erkenntnisinteresses und der Verortung unseres Ansatzes im re levanten Forschungskontext arbeiten wir zunächst die Gemeinsamkeiten der exothetischen Formen und ihre Funktionen in den drei Kirchenbesichtigungen heraus. Dann konzentrieren wir uns auf die Unterschiede und jeweiligen Besonderheiten der drei Besichtigungen und arbeiten dabei drei eigenständige, in sich schlüssige Besichtigungskonzepte heraus. Diese drei Konzepte zeichnen sich durch die jeweils eigenständige Konstitution des Kirchenraums bei dessen Besichtigung aus. Wir konnten zeigen, dass der Kirchenraum als religiöser Funktionsraum konstituiert wird (Aurelia), als Ort von Christusdarstellungen (Saskia) und als architekturgeschichtlicher Zusammenhang (Anton). Die modellhafte Eigenständigkeit der Konzepte wurde ausschließlich durch das exothetische Sprechen deutlich. Dies weist die wahrnehmungsbegleitende Thematisierung als wichtiges Erhebungs- und Analyseverfahren für den Zugang zur situierten Kognition im Zusammenhang mit dem Vollzug komplexer kultureller Praktiken aus.

Schlüsselwörter: Multimodalität, multimodale Interaktionsanalyse, Kirchenbesichtigung, kulturelle Praktik, interaktionistische Raumanalyse, exothetisches Sprechen, Sprache und Kognition.

Einleitung und erkenntnistheoretische Kontextualisierung

Unter exothetischem Sprechen versteht man in der Regel Fälle von selbstbezogenem hörbarem Reden oder von lautem Nachdenken im Kontext von Problemlösungssituationen. Im ersten Fall handelt es sich zumeist um situativ-eruptive Äußerungen, die faktisch aufgrund ihrer fehlenden Vorhersagbarkeit nicht systematisch dokumentiert und analysiert werden können. Beim lauten Denken hingegen handelt es sich um Äußerungen, die - zumeist unter Laborbedingungen - explizit als Problemlösungsverfahren eingesetzt, dokumentiert und analysiert werden. In der empirischen Interaktionsanalyse spielt exothetisches Sprechen jedoch bisher so gut wie keine Rolle (siehe jedoch: [Schmitt, 2017]).

Um zu verstehen, wie es zu unserem spezifischen Erkenntnisinteresse an exothetischem Sprechen kommt und in welcher Weise wir dokumentierte Fälle von Exothesen als empirische Grundlage für eine multimodalinteraktionsanalytische 1 Untersuchung nutzen, müssen wir etwas ausholen. Die Anfänge unseres Interesses an exothetischem Sprechen gehen auf die Phase der Konstitution des Kirchenbesichtigungskorpus im Jahr 2015 zurück.

Dieses Erhebungsdesign hat - gemessen am konversationsanalytischen Authentizitätspostulat - einen semiexperimentellen Charakter, für den in erster Linie das wahrnehmungsbegleitende Sprechen bei den Kirchenbesichtigungen verantwortlich ist, das als von den drei Besichtigern (Aurelia, Saskia und Anton) explizit zu bearbeitende Aufgabe formuliert wurde. Diese Anforderung zum wahrnehmungsbegleitenden Sprechen als Teil der wissenschaftlichen Erhebungsmethode entstand nicht aufgrund theoretischer Vorüberlegungen, sondern ist das Ergebnis des Datenkonstitutionsprozesses selbst. Die Entwicklung des Erhebungsdesigns vollzog sich in insgesamt drei Etappen, bei denen das Design systematisch auf der Basis intensiver Auswertungen der bereits vorliegenden Aufnahmen aufnahmetechnisch erweitert wurde.

Phase 1 bestand in der Dokumentation des Kirchenraums bei der Begehung mit einer Action Cam, bei der die Aufnahme in etwa den Wahrnehmungsraum der besichtigenden Person wiedergibt. Die systematische Auswertung der Aufnahmen führte zu einem unbefriedigenden Ergebnis, denn sie waren in keiner Weise als empirische Grundlage für die Beschäftigung mit Kirchenbesichtigungen geeignet. Der zentrale Grund hierfür war der im Vergleich mit dem menschlichen Sehen gänzlich unfokussierte Blick, den die Kamera aufgrund ihres Weitwinkelobjektivs produzierte. Man konnte schlicht und einfach nicht hinreichend erkennen, worauf genau sich der Blick in bestimmten Situationen richtete, da alles undifferenziert scharf war.

In Phase 2 wurde versucht, diese unscharfe Fokussierung mit dem Einsatz einer zusätzlichen Kontextkamera zu korrigieren. Diese dokumentierte die besichtigende Person nun bei ihrem Gang durch den Kirchenraum. Die Hoffnung, die wir mit dem Einsatz dieser zweiten Kamera und einer neuen Perspektive verbanden, realisierte sich jedoch nicht. Es blieb weiterhin relativ unklar, was zu welchem Zeitpunkt der Aufnahme(n) konkret im Fokus (und in der Peripherie) der besichtigenden Personen lag.

In Reaktion auf dieses unbefriedigende Auswertungsergebnis haben wir uns dann in Phase 3 entschieden, die kameratechnisch nicht zu realisierende Wahrnehmungsfokussierung, die wir für unsere Analysen der Kirchenbesichtigung dringend brauchten, im Medium der Verbalität „herzustellen“: Die besichtigenden Personen sollten kontinuierlich, aber gänzlich selbstbestimmt, ihre visuelle Wahrnehmung durch Kommentare, Beschreibungen etc. begleiten. Erst nach Einsatz dieses exothetischen Sprechens war es uns analytisch möglich zu verfolgen, worauf sich der Blick und der Fokus bei der Besichtigung jeweils konkret richteten.

Die wahrnehmungsbegleitende Verbalisierung erleichterte bzw. erhöhte in signifikanter Weise die Verstehbarkeit und den Nachvollzug der Wahrnehmung bzw. der Struktur und Sequenzialität der dokumentierten Wahrnehmungsräume des Raumbetrachters.

Die Verbalisierung leistet im Grunde genommen die Selektion, Fokussierung und Relevanzrückstufung bestimmter Aspekte und Ausschnitte aus der Totalität des aktuell im Wahrnehmungsraum des Betrachters Sichtbaren. Sie ersetzt - in spezifischer Weise - im Medium der Sprache die Arbeit des menschlichen Auges und stellte so die für die Wahrnehmung wichtige Grundstruktur von Vorder- und Hintergrund her. Sie rückt einzelne Objekte in den Vordergrund und defokussiert gleichzeitig alles im Moment nicht Relevante, rückt es - analog dem menschlichen Auge - in den Unschärfebereich der Peripherie oder des Hintergrunds. Ohne wahrnehmungsbegleitende und wahrnehmungskommentierende Verbalisierung bleibt aufgrund der undifferenzierten Relevanzstruktur sehr vieles im Vagen, Hypothetischen und Vieldeutigen. In vielen Situationen kann man die Vielzahl möglicher SehArten, mit denen man als Analytiker versucht, aus den sich kontinuierlich verändernden Wahrnehmungsräumen des Betrachters dessen Relevanzen zu rekonstruieren, nicht in hinreichender Weise einschränken.

Erkenntnisinteresse und methodisches Vorgehen

Was muss man nun beachten und mit welchen Implikationen theoretischer und methodologischer Art bekommt man es zu tun, wenn man multimodal-interaktionsanalytisch mit verbalen Daten arbeitet, die das Ergebnis der Bearbeitung einer explizit formulierten Aufgabe sind? Ein aus konversationsanalytischer Sicht erwartbarer Hinweis zielt auf das Authentizitätspostulat, nach dem die empirische Grundlage ihrer Analyse „naturally occurring“2 - das heißt nicht explizit für die Zwecke ihrer Dokumentation produziert sein müssen. Das ist bei unseren Daten nicht der Fall. Ein solcher Hinweis läuft jedoch Gefahr, die erkenntnistheoretischen Grundlagen desselben unreflektiert zu lassen und zu übersehen, dass das Authentizitätsgebot die Antwort aus der Perspektive eines spezifischen Erkenntnisinteresses ist. Sie ist die Reaktion auf die übergeordnete und für jegliche Form von wissenschaftlichem Erkenntnisinteresse geltende Anforderung der „empirischen Adäquatheit der Analysegrundlagen“. Bei anderen Erkenntnisinteressen als denen der Konversationsanalyse fallen Antworten auf die zentrale Anforderung, für die Analyse spezifischer Fragestellungen adäquate empirische Daten zu generieren, gänzlich anders aus. Die Frage für uns lautete also: Für welche Fragestellungen stellen die videodokumentierten Kirchenbesichtigungen mit der zentralen Komponente des exothetischen Sprechens adäquate empirische Grundlagen dar?

Wir benutzen die Daten, die wir explizit als Bearbeitung einer fremdgestellten Aufgabe fokussieren, um in einem ersten Schritt zu rekonstruieren, wie drei besichtigende Personen (die wir Aurelia, Saskia und Anton nennen wollen) diese Aufgabe als Bestandteil ihrer Besichtigung derselben Kirche jeweils individuell bearbeitet haben.

In einem zweiten Schritt fragen wir auf der Grundlage der rekonstruierten Bearbeitungsspezifik danach, wie die Besichtigungskonzepte der Personen aussehen, das heißt welches De-facto- Modell von Kirchenbesichtigung sie jeweils konkret realisieren. Dieses spezifische Erkenntnisinteresse lässt sich nur auf der Grundlage des wahrnehmungsbegleitenden Sprechens rekonstruieren. Würde man versuchen, alleine auf der Basis der Videoaufnahmen ohne wahrnehmungsbegleitendes Sprechen konzept- rekonstruktiv zu arbeiten, könnte man letztlich nur sagen, dass alle drei Personen mehr oder weniger das Gleiche tun: Sie betreten den Kirchenraum, bewegen sich durch den Raum, bleiben an verschiedenen Stellen stehen, um sich etwas genauer umzusehen, und verlassen nach einer gewissen Zeit - nachdem sie sozusagen einmal durch sind - den Kirchenraum wieder. Letztlich sind Dokumente ohne wahrnehmungsbegleitendes Sprechen nur adäquat, um sich mit dem körperlichräumlichen Positionierungsverhalten von Personen im Kontext von Ausstellungen, Museumsbesuchen, Besichtigungen historischer Monumente etc. zu beschäftigen. Der Erkenntnisgewinn, der dabei erzielt werden kann, liegt letztlich in der Beantwortung der Frage, was - bezogen auf die oben relevant gesetzten Verhaltensaspekte - Konstituenten und Unterschiede im visuell wahrnehmbaren Verhalten der Personen sind. Wir erfahren dabei jedoch nichts über die besichtigungsrelevanten konzeptionellen Orientierungen der Personen. Genau diese stehen jedoch im Zentrum unseres hiesigen Erkenntnisinteresses.

Wir werden - nachdem wir in einem nächsten Schritt zunächst unsere eigene Arbeit im relevanten Forschungskontext verortet haben - im empirischen Teil wie folgt vorgehen:

Zunächst geben wir (basierend auf der Grundlage mehrfacher intensiver Sichtungsdurchgänge durch die Gesamttranskripte) einen Überblick über Gemeinsamkeiten des exothetischen Sprechens. Diese Gemeinsamkeiten haben wir in äußerungsstruktureller, äußerungstypologischer und pragmatischer Hinsicht bei den wahrnehmungsbegleitenden Aktivitäten von Aurelia, Saskia und Anton bei der ausgewählten Kirchenbesichtigung identifiziert.

Danach fragen wir nach der grundlegenden Motivierung dieser Gemeinsamkeiten im Hinblick auf zwei zentrale Aspekte, die die dokumentierte kulturelle Praktik [Schmitt, 2015] „Kirchenbesichtigung“ konstituieren: Kirche (im Verständnis eines spezifischen, kulturhistorisch geprägten gesellschaftlichen Funktionsraums) und Besichtigung (als einen spezifischen, sozial-kulturell geprägten Aktivitätszusammenhang). Bei diesem Arbeitsschritt steht die Frage im Mittelpunkt: Lassen sich die rekonstruierten Gemeinsamkeiten in systematischer Weise auf einen dieser beiden Aspekte beziehen? Und wenn ja: Welche sind dies jeweils?

In einem dritten Schritt analysieren wir für Aurelia, Saskia und Anton jeweils eine ausgewählte Sequenz, die hinsichtlich unseres konzeptbezogenen Erkenntnisinteresses exemplarische und prototypische Qualität besitzt - und die nun die jeweiligen Besonderheiten und Unterschiede im wahrnehmungsbegleitenden Sprechen fokussiert. Diese Sequenzen unterziehen wir einer detaillierten Analyse. Aufgrund unseres auf exothetisches Sprechen bezogenen Erkenntnisinteresses analysieren wir die exothetischen Aktivitäten als monomodal-verbalen Ausdruck, obwohl sie integraler Bestandteil des multimodal-räumlichen Gesamtverhaltens der Personen sind. Die Exothese besitzt - auch wenn sie im gewissen Sinne im Rahmen unseres spezifischen, konzeptbezogenen Erkenntnisinteresses im Mittelpunkt steht - keinen interaktionstheoretisch autonomen oder gar primären Status gegenüber der visuellen Wahrnehmung oder den lokomotiven Aktivitäten der Personen im Kirchenraum.

Anschließend formulieren wir in einem fallbezogenen Resümee die den rekonstruierten Gemeinsamkeiten und Unterschieden zugrundeliegenden besichtigungskonzeptionellen Orientierungen der Beteiligten im Sinne typologisierter De-facto-Modelle möglicher Kirchenbesichtigungen.

Auf der Grundlage dieses Resümees werden wir dann in einem Ausblick Erkenntnismöglichkeiten und -grenzen des Einsatzes exothetischen Sprechens als systematischer Erweiterung bisheriger wissenschaftlicher Erhebungsdesigns und Gegenstandskonstitutionen im Bereich der empirischen Interaktionsforschung reflektieren.

Zunächst aber wollen wir unseren eigenen Ansatz in dem für uns relevanten Forschungsfeld skizzieren und verorten.

Verortung unseres Ansatzes im Forschungskontext. Für die Datenkonstitution wurde - wie bereits angedeutet - wahrnehmungsbegleitendes Sprechen als methodisches Verfahren eingesetzt. Die kirchenbesichtigenden Personen wurden gebeten, während ihres Gangs durch den Kirchenraum ihnen wichtig erscheinende Aspekte ihrer visuellen Wahrnehmungen, ihrer Gedanken und ihrer Empfindungen zu verbalisieren. Die so produzierten Äußerungen wurden aufgezeichnet und später transkribiert. Diese nicht unmittelbar partnergerichteteten Äußerungen bezeichnen wir in der Tradition der Funktionalen Pragmatik als Exothesen:

„Eine ,Exothese` ist das unmittelbare, direkte Nach-Außen-Setzen von Prozessen und/oder Resultaten mentaler Vorgänge“ [Rehbein, 1977, S. 346, Anm. 27].

Von seiner Grundstruktur und seinem Zielbezug hat das exothetische Sprechen gewisse Ähnlichkeiten mit dem „lauten Denken“3. Lautes Denken wurde unter anderem in der Sozialpsychologie eingesetzt, um einen Zugang zu kognitiven Verarbeitungsstrukturen (vor allem im Zusammenhang mit Planungs- und Problemlösungsprozessen) von Versuchspersonen zu bekommen (beispielsweise [Konrad, 2010] mit Literaturüberblick):

„Die Methode „Lautes Denken` ermöglicht es, Einblicke in die Gedanken, Gefühle und Absichten einer [...] denkenden Person zu erhalten“ [Konrad, 2010, S. 476].

Die hier verwendete Form des lauten Denkens wird als Introspektion (augenblickliche Verbalisierung) bezeichnet:

„die engste Verbindung zwischen Denken und verbalen Berichten [ist] dann nachweisbar, wenn das Individuum seine Gedanken unmittelbar im Zuge der Aufgabenbearbeitung in Worte fasst (,Introspektion`)“ [Konrad, 2010, S. 476].

Die Analyse von Exothesen und Protokollen lauten Denkens wird in einer Vielzahl von Disziplinen genutzt. Dem hier verwendeten Untersuchungsdesign am nächsten kommen Arbeiten, die mit Hilfe von Action Cam, Kontextkamera und transkribierten Protokollen lauten Denkens Museums- bzw. Ausstellungsbesuche analysieren [Buttkereit et al., 2014; Wise, 2011].

Auch wenn das genaue Verhältnis zwischen exothetischen Äußerungen und den zugrunde liegenden Wahrnehmungen, Gedanken und Empfindungen nach wie vor weitgehend ungeklärt ist, lässt die Versprachlichung visueller Wahrnehmung doch erkennen, womit die Sprecher/innen der Exothese jeweils befasst sind:

„Wenn die Verbalisation von Kognitionen im Kontext von Handlungen uns auch nicht notwendig die ,wirklichen`, objektiven Handlungsursachen erschließt, so doch die subjektive Sicht des Handlungszusammenhangs - und damit die Orientierung der Person auch in vergleichbaren Situationen.“ [Huber, Mandl, 1994, S. 16].

Die methodische Eigenständigkeit des exothetischen Sprechens besteht vor allem in der Kombination der folgenden Aspekte:

- Es kommt bei unserer Untersuchung nicht in einer Laborsituation, sondern im freien Feld zum Einsatz,

- es gibt keine externen Stimuli, um die Exothese am Laufen zu halten,

- das Verfahren wird nicht in selbstreflexiver Weise eingesetzt, sondern Produzent und Analytiker werden bewusst getrennt.

Fallanalysen

Bei wiederholten Durchgängen durch die Videoaufzeichnungen und Transkripte haben wir viele Gemeinsamkeiten, aber auch deutliche Unterschiede im exothetischen Sprechen von Aurelia, Saskia und Anton entdeckt. Die Gemeinsamkeiten bestehen zum einen - was nicht überrascht - in ihrem sehr weitgehend vergleichbaren visuell wahrnehmbaren körperlichen Verhalten im Kirchenraum: Sie betreten den Raum, bewegen sich entlang der begehbaren Flächen durch den Raum, bleiben an bestimmten Stellen stehen, positionieren sich vor ausgewählten Objekten, verweilen manchmal auch etwas länger in einer Position - und treten dann wieder aus der Kirche ins Freie.

Interessanter als diese visuell wahrnehmbaren Gemeinsamkeiten, die gewissermaßen die körperlich-räumlichen Voraussetzungen der Besichtigung darstellen, sind jedoch die Vergleichbarkeiten des exothetischen Sprechens. Wir fokussieren daher die Realisierung von Äußerungen, die wir als Teilbearbeitungsverfahren hinsichtlich der formulierten Anforderung verstehen und die wir nachfolgend primär im Hinblick auf ihre pragmatischen Implikationen differenzieren wollen.

Gemeinsamkeiten des wahrnehmungsbegleitenden Sprechens. Die Äußerungen, die wir in den Exothesen von Aurelia, Saskia und Anton gefunden haben, lassen sich (auf einem mittleren Abstraktionsniveau) in mehr oder weniger drei große Gruppen unterscheiden, die jeweils spezifische Funktionen erfüllen: objektbezogene und unmittelbar wahrnehmungsbegleitende Äußerungen, Äußerungen mit selbstkoordinativem Charakter und Äußerungen, die auf vorgängige Erfahrungen und mitgebrachte Erwartungen bezogen sind.

Objektbezogene, wahrnehmungsbegleitende Äußerungen. Es gibt eine Gruppe von Äußerungen, die sich hinsichtlich ihrer pragmatischen Charakteristik im engeren Sinne auf das in der Situation visuell Wahrgenommene beziehen (nicht notwendig gleichzeitig!) und sich damit ganz unmittelbar aus der Bearbeitung der gestellten Aufgabe (die visuelle Wahrnehmung nach eigenen Relevanzen und Auswahlkriterien zu beschreiben) ergeben. Solche Äußerungen sind aufgrund der unmittelbaren Implikativität der Aufgabe nicht sonderlich überraschend und im gewissen Sinne prognostizierbar. Zu diesen Äußerungen gehören:

Konstative Äußerungen (und Objektlisten):

- der altarraum (Anton Zeile 79),

- da ist der altar (Aurelia Zeile 65),

- die orgel (Sakia Zeile 74).

Objektbeschreibungen:

- und (-) ein bild (.) mit einem blauen rahmen (Aurelia Zeile 99-100),

- die orgel die nimmt das (.) den (-) den ganzen zwischenraum da ein (Saskia Zeile 74-77).

Nutzungsmöglichkeiten von Objekten:

- und dann ist da an der wand ein kleiner schrank (-) aus marmor den kann man öffnen (1.5) und da könnte man vermuten dass da die hostien drin sind (Aurelia Zeile 282-287).

Positiv- und Negativevaluationen:

- riesige bilder (Anton Zeile 36),

- dieses fenster das ist scheußlich (1.0) mag ich gar nicht (Anton Zeile 117-119),

- und da ist ein (-) schönes fenster (Aurelia Zeile 60),

- das hat was fürstliches irgendwie (Saskia Zeile 228).

Solche unmittelbar objektbezogenen Äußerungen können - je nach Relevanz, welche die visuell wahrgenommenen Objekte für die besichtigende Person besitzen - in ihrem konstativen Status verbleiben, oder aber sie dienen als Startpunkt für eine expandierte verbale Beschäftigung. Beispiele hierfür sind:

Fragen und Selbstbeantwortungen, Erkenntnisse, Nichtwissen, Vermutungen und Problematisierungen:

- ja (-) wie bedient man jetzt diese orgel (-) wahrscheinlich wenn man diesen glaskasten öffnet (Aurelia Zeile 37-39),

- aha ehrenlegion (Saskia Zeile 265),

- was mach man denn mit den kerzen (Aurelia Zeile 131),

- was man damit macht weiß ich nicht (Aurelia Zeile 200),

- was das denn da hinten (Saskia Zeile 300).

Vergleiche, raumintern und

raumtranszendierend:

- und (-) hier gibt's auch weihwasser (1.5) und das (.) gabs am eingang nicht (Aurelia Zeile 56-58),

- diese fliesen sind hier auch wieder (1.5) hier sind die ganz anders (1.0) das (in der andern) kirche auch (.) nicht so (Saskia Zeile 115-120).

Selbstkoordinative Äußerungen. Daneben gibt es jedoch eine Gruppe von Äußerungen, die im gewissen Sinne nicht mehr unmittelbar mit der Aufgabenbearbeitung, sondern eher mit deren Strukturierung und der Sicherung von Bearbeitungsvoraussetzungen zusammenhängen. Diese Äußerungen kann man unter dem Stichwort „Selbstkoordination“ zusammenfassen. Sie besitzen unterschiedliche Formen, Explizitheitsgrade und Ausbaustufen. Solche Äußerungen sind beispielsweise:

Äußerungen, die sich auf die kontinuierliche Konstitution der ständig wechselnden und sich verändernden visuellen Wahrnehmungsräume beziehen:

- da is ne (-) büste (2.0) die gucken wir uns mal an (Aurelia Zeile 75-77).

Äußerungen, die sich auf die Organisation der eigenen Laufwege beziehen und die Bewegung im Kirchenraum organisieren:

- da geh ich jetzt nicht rauf (Aurelia Zeile 234),

- gut dann gehen wir mal nach vorne (Aurelia Zeile 157),

- hauptsächlich soll man wohl hier lang (Saskia Zeile 71/72),

- ich glaub da geh ich mal lieber nicht hin ne (Saskia Zeile 192).

Erfahrungsexplizierende und erwartungsthematisierende Äußerungen. Zu dieser Gruppe exothetischen Sprechens gehören Äußerungen, bei denen Aspekte der aktuellen visuellen Wahrnehmung vor dem Hintergrund vorgängiger Erfahrungen und mitgebrachter Erwartungen thematisiert werden.

Formulierungen von Erwartungen und Erwartungsbrüchen:

- hätt ich mir von außen größer vorgestellt (Anton Zeile 08),

- ungewöhnlicher platz für ne orgel (Anton Zeile 21),

- keine kanzel (Anton Zeile 93),

- viele bänke ich hätte (.) echt gedacht hier sind weniger bänke in so ner kleinen kirche (Aurelia Zeile 324-326),

- die bänke hier haben gar keine fußteile (Saskia Zeile 315).

Zwei Aspekte müssen zum adäquaten Verständnis dieser - letztlich die eigentliche konzeptanalytische Rekonstruktion vorbereitende - typologisierenden Ordnung beachtet werden. Die skizzierten Typen sind - wie bei den meisten Versuchen, eine erkenntnisbasierte Ordnung in eine Fülle von Einzelfallen zu bringen - nicht wirklich trennscharf. So sind beispielsweise konstatierende Objektthematisierungen - unter einer gewissen Perspektive - Bestandteil von Erfahrungsthematisierungen oder der Formulierung von Erwartungsbrüchen. Es gibt also klare Inklusionsverhältnisse, die für unser Erkenntnisinteresse jedoch nicht zentral relevant sind.

Motivierung der Gemeinsamkeiten

Mit den beschriebenen Äußerungstypen haben wir eine relativ große Schnittmenge von Gemeinsamkeiten identifiziert, die man als besichtigungskonstitutive Aspekte charakterisieren kann. Bezogen auf die formulierte Aufgabe handelt es sich um Teilverfahren der Bearbeitung. Ohne deren Realisierung kann die gestellte Aufgabe nicht bearbeitet werden. Wenn man so will, haben wir mit der typologischen Skizze die sprachlichen Ressourcen rekonstruiert, die Aurelia, Saskia und Anton in übereinstimmender Weise nutzen, um ihre visuelle Wahrnehmung und ihre körperlich-räumlichen Aktivitäten verbal zu begleiten.

Die Konstitutivität dieser Teilverfahren ist - und das ist an dieser Stelle wichtig - dabei weitgehend unabhängig davon, welche spezifische Konzeption von Kirchenbesichtigung sie jeweils verfolgen. Anders formuliert: Die rekonstruierten Gemeinsamkeiten des exothetischen Sprechens sind nur der erste Teil unseres Erkenntnisinteresses. Sie geben noch keine substanzielle Auskunft darüber, welches Konzept von Kirchenraum Aurelia, Saskia und Anton bei ihrer Besichtigung ad hoc und situativ, aber - das ist unsere Annahme - in systematischer Weise realisieren. Die rekonstruierten Gemeinsamkeiten und ihre weitgehend unspezifische konzeptionelle Relevanz lassen die situative Realisierung sehr unterschiedlicher Kirchenbesichtigungskonzepte zu. Diese Konzepte kommen erst dann in den Blick, wenn man die Selektion und Rekurrenz raumbezogener Aspekte in den Fokus rückt, mit denen - basierend auf der Grundlage der oben beschriebenen sprachlichen Ressourcen - von den dreien beim wahrnehmungsbegleitenden Sprechen jeweils eigene Räume geschaffen werden. Diesen Aspekten und den zugrundeliegenden Konzepten, die für ihre Selektion und rekurrente Thematisierung verantwortlich sind und bei der Besichtigung derselben Kirche jeweils eigene Räume konstituieren, wollen wir uns jetzt zuwenden.

Unterschiede in der Realisierung der Kirchenraumkonzepte. Aus Platzgründen können wir die nachfolgenden Konzeptrekonstruktionen empirisch nur auf wenige ausgesuchte kurze Stellen mit prototypisch-exemplarischer Qualität gründen. Faktisch-methodisch sind die Konzeptrekonstruktionen aber durch die detaillierte Analyse der vollständigen Besichtigung breit abgesichert. Wir werden in diesem Abschnitt für Aurelia, Saskia und Anton jeweils eine zentrale Stelle analysieren. In einem zweiten Schritt werden wir dann die konzeptionelle Relevanz der herausgearbeiteten Aspekte durch weitere Verweise und Belege absichern. Faktisch handelt es sich bei den nachfolgenden kurzen Präsentationen also um ein stärker ergebnispräsentierendes Format. Die explizite, in der detaillierten Rekonstruktion gegründete schrittweise Entwicklung und Sättigung finaler Lesarten bis hin zum hier präsentierten Ergebnis kann leider nicht geleistet werden. Wir beginnen die Analyse mit Aurelia, wenden uns dann Saskia zu und beschließen diesen Teil mit Anton. Diese Auswahl ist nicht ganz zufällig, sondern in folgender Weise motiviert: Die drei Kirchenbesichtigungskonzepte lassen sich entlang eines Kontinuums zwischen den Polen situativdeskriptiv undstrukturell-kategorial unterscheiden. Aurelias Kirchenraumkonzept ist deutlich in der Nähe des situativ-deskriptiven Pols verortet, das von Anton tendiert vergleichbar eindeutig zum strukturell-kategorialen Pol, wohingegen Saskias Konzept mittig positioniert ist und somit an den Eigenschaften beider Pole partizipiert. Je deutlicher sich das Konzept strukturell-kategorial positioniert, desto offensichtlicher und benennbarer ist es als mitgebrachte Strukturierungs- und Thematisierungsrelevanz. Umgekehrt gilt für anders gepolte Konzepte eine gewisse Implizitheit und Widerständigkeit dem Versuch gegenüber, die mitgebrachte strukturierende Kraft zu erfassen und adäquat zu benennen.

Aurelia: Der Kirchenraum als religiöser Funktionsraum. Ein rekurrenter Aspekt, den Aurelia in unterschiedlichen Formulierungen und an verschiedenen Stellen bei ihrer Besichtigung des Kirchenraums zur Sprache bringt, sind die Kirchenbänke. Damit ist sie - das sei an dieser Stelle vorweg gesagt - die einzige, die Bänke als einen wesentlichen Teil der innenarchitektonischen Ausstattung des Raums wiederholt thematisiert. Es gibt - neben kurzen konstativen exothetischen Formen - vor allem zwei Stellen, an denen sie sich etwas ausführlicher und reflektierend mit den Bänken beschäftigt. Diese Stellen sind für unser konzeptbezogenes Erkenntnisinteresse von besonderer Bedeutung, weil in ihnen in exemplarischer Weise ein zentrales Element von Aurelias Kirchenraumkonzept zum Ausdruck kommt. Daher wollen wir uns eine der beiden Stellen etwas genauer ansehen.

137 AU: und dann4

138 (1.5)

139 sind hier noch weitere

140 bänke (-)

Aurelia bindet die aktuelle Thematisierung der Bänke durch den Anschluss und dann sind hier noch an ihre vorgängigen Thematisierungen an. Aurelia thematisiert die Kirchenbänke bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt unmittelbar nach ihrem Eintritt in die Kirche in einem konstativ- deskriptiven Formulierungsmodus (Zeile 11-13: da sind bänke (2.5) und hier sind bänke und Zeile 109: und dann ist da ne bank). Im Unterschied zu diesen vorherigen Thematisierungen setzt sie sich nun aber in einer Art szenischem Entwurf mit den Bänken im Rahmen einer Wenn-dann- Struktur bezogen auf ihre konkrete Funktion im Gottesdienst auseinander. Die Szene, die sie dabei imaginiert, ist die eines Gottesdienstes, in dem alle Bänke besetzt und nur noch - hinter der letzten Bankreihe - Stehplätze frei sind:

141 AU: und hier wenn man in der

142 letzten

143 reihe steht und alle plätze

144 schon

145 voll sind dann (-)

Im folgenden Dann-Teil ihrer Äußerung verdeutlicht sie, welche Situation in dem vollbesetzten Gottesdienst sie konkret vor Augen hat: Das Hinknien zu bestimmten Gelegenheiten als Teil der gottesdienstlichen Liturgie. Der Wechsel des Präsenzmodus vom „sitzen/stehen“ zum „knien“ ist für sie ein fragloser und wichtiger Bestandteil der Beteiligungsweise der anwesenden Gemeinde im Gottesdienst.

146 AU: kann man sich das teil

147hier runterklappen

148(2.0)

149und dann kann man sich da

150draufknien

Interessant ist an ihrer Formulierung, dass sie selbst nicht von „hinknien“, sondern von draufknien spricht. Die Veränderung des Präsenzmodus wird also nicht an sich, sondern mit konkretem Bezug auf die Bank bzw. das Teil, das zum Draufknien vorgesehen ist, beschrieben. Das Knien (in der Variante von Draufknien) wird dadurch neben der Besetzbarkeit zum zentralen Benutzbarkeitshinweis [Hausendorf, Kesselheim, 2013] der Kirchenbank. Während dieser Thematisierung greift sie das bewegliche Teil der

Bank zum Draufknien und klappt es herunter und gleich wieder hinauf (Bild 1).

Bild 1

151 AU: wahrscheinlich (-) so wie da5

Mit dem abschließenden Formulierungsteil da markiert sie, dass sie sich zwar hinsichtlich der spezifischen Funktionalität des gerade bewegten Bankteils nicht ganz sicher ist (wahrscheinlich), verweist dann aber sogleich auf das heruntergeklappte Teil (zum Draufknien) in der Bank rechts neben ihr (so wie da) (Bild 2)6. Bei dem Herunterklappen der Knieleiste handelt es sich im gewissen Sinne um eine taktil durchgeführte praktische Funktionsprüfung, mit der Aurelia die Richtigkeit ihrer formulierten Wahrnehmungsbeschreibung testet. Bei dem beschriebenen taktilen Kontakt mit dem thematisierten Objekt handelt es sich nicht um einen situativen Einzelfall. Vielmehr „prüft” und berührt Aurelia - auch dies ist ein Alleinstellungsmerkmal - regelmäßig exothetisch hervorgehobene Objekte: ausliegende Informationsblätter, Plastikblumen, Verputz, Banklehnen mit farbigem Lichtspiel etc.

In vergleichbar expliziter Weise thematisiert Aurelia die Kirchenbänke nochmals zu einem späteren Zeitpunkt, wobei auch hier wieder die Funktionalität der Bänke für die Durchführung des Gottesdienstes im Mittelpunkt steht. Neuer Aspekt ist hier die große Anzahl der Bänke relativ zur Größe der Kirche bzw. des Kircheninnenraums:

Die exothetische Relevanz der Kirchenbänke unter dem Aspekt ihrer Funktionalität für den Gottesdienst ist Ausdruck einer generellen Orientierung, mit der sich Aurelia durch den Kirchenraum bewegt und dabei ihre visuelle Wahrnehmung sprachlich begleitet. Die gleiche Funktionsperspektive, mit der sie den Kirchenraum sprachlich als Funktionsraum konstituiert, findet sich auch bei der Thematisierung anderer Gegenstände und Objekte der innenarchitektonischenAusgestaltung des Kirchenraums. Dies gilt beispielsweise für die Thematisierung des Ambo (Zeile 227: kann man da stehen und (.) aus der bibel lesen wenn man möchte), der Orgel (Zeile 37-38: wie bedient man jetzt diese orgel), der Marienstatue (Zeile 255-259: dann kann man sie dann hier abseits vom altar anbeten (-) wenn man mal ein anliegen hat oder so) und des Taufbeckens etc.

Ihre fünktionalistische Perspektive auf den Kirchenraum ist dabei nicht nur auf die Primärlünktion, den Gottesdienst, beschränkt. Sie gilt vielmehr auch für religiöse Sekundärnutzungen außerhalb des Gottesdienstes. Dies wird beispielsweise deutlich, wenn sich Aurelia intensiv mit der Frage beschäftigt, wo man gekaufte Kerzen entzünden und platzieren kann. Es zeigt sich weiterhin darin, dass sie im Kontext der Betrachtung der Marienstatue sofort darauf hinweist, was deren „Funktion“ ist: dann kann man sie dann hier abseits vom altar anbeten (-) wenn man mal ein anliegen hat.

KonstitutivfürAurelias

152 AU:viele bänke ich hätte ( . )

153 echt

154 gedacht hier sind weniger

155 bänke in

156 so ner kleinen kirche

157 sondern hier

158 sind bänke (-) und da hinten

159 sind

160 ja (-) eins zwei drei vier

161 fünf

162 sechs (-) ja (.) sechs (-)

163 bankreihen (-) pro reihe

164 (-)

Dannfolgt wieder eine Art szenischer

Entwurf, bei dem sie erneut eine Situation im Gottesdienst gestaltet, die sich abermals mit dem Hinknien beschäftigt:

165 AU:und die die hier sitzen

166 die haben

167 (-) echt die schlechtesten

168 karten

170 die können sich ja (-)

171 müssen sich

172 aufn boden hinknien

174 und das (.) wo man sich

175 hinknien

176 können könnte

177 (2.0)

178 kann man hier auch nicht

179 runterklappen

Kirchenbesichtigungskonzept ist eine funktionalistisch strukturierte Exothese, die - vor allem zentrale Objekte - auf ihre Funktionalität für a) den Vollzug des Gottesdienstes und b) für private religiöse Sekundärnutzungen wie etwa das Anrufen der Jungfrau Maria, das nur außerhalb des Gottesdienstes erfolgen kann, beschreibt. Der Kirchenraum wird unter einer solchen funktionalistischen Perspektive primär als religiöser Funktionsraum konstituiert, für den Aspekte, die generell auf die Raumarchitektur bezogen sind, schlichtweg nicht relevant sind. Und nicht funktionsrelevante Objekte werden zumeist in lakonisch realisierten, listenförmig strukturierten Deskriptionen benannt.

Aurelia bringt die Funktionalität konsequent aus Perspektive der Gottesdienstbesucher zur Sprache, wobei die Nutzung thematisierter Objekte und Gegenstände szenisch entworfen und dabei jeweils als konkreter situativer Handlungszusammenhang gestaltet wird. Im Relevanzrahmen einer solchermaßen funktionalistischen Konstitution des Kirchenraums, die konsequent aus der Perspektive der Gottesdienstbesucher oder von Privatpersonen in individueller religiöser Nutzung erfolgt, macht die zunächst auffällige thematische Abwesenheit des Altars, der im gewissen Sinne exothetisch übergangen wird, durchaus Sinn: Denn der Altar ist zwar sakrales Zentrum des Raumes, kann aber im Unterschied etwa zum Ambo, der vom Lektor genutzt wird, nicht von den Besuchern in funktionaler Weise eingesetzt werden. Das macht nur der Pfarrer.

Der Kirchenraum als Ort von Christusdarstellungen. Auch in den exothetischen Aktivitäten von Saskia gibt es einen rekurrenten Aspekt, der an unterschiedlichen Stellen ihrer Kirchenbesichtigung zur Sprache kommt. Bei diesem Aspekt handelt es sich um die Darstellung von Jesus Christus und damit um ein - im Vergleich zur Kirchenbank - eher ausschmückendes Element, das für den Vollzug von Gottesdienst selbst keine Bedeutung besitzt. War bei Aurelia die Kirchenbank ein Alleinstellungsmerkmal, so ist dies bei Saskia die Christusdarstellung. So, wie der konzeptrelevante Aspekt „Kirchenbank“ bei Aurelia bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt thematisch wird, so taucht auch bei Saskia der erste sprachliche Verweis auf eine Darstellung von Jesus Christus bereits unmittelbar nach ihrem Eintritt auf.

Diese erste Thematisierung ist zunächst aufgrund ihres konstativen Charakters und ihrer lakonischen Formulierung nicht besonders auffällig. Relevant wird sie jedoch, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Thematisierung auf große Distanz hin und in einem recht dunklen Raum erfolgt. Zudem ist das Objekt recht klein und dadurch eher unauffällig (Bild 3, 4)7. Trotzdem findet die Identifikation der Christusdarstellung ihren Weg in die Exothese fenster mit jesus (Zeile 22).

20 SA: altar (1)(-) gemälde (2)

21 (1.0)

Die erste Thematisierung einer Christusdarstellung erfolgt im Zusammenhang mit der konstativen Erfassung des Altarraums, der der Eingangstür gegenüberliegt. Weitere Objekte, die im Kontext der Erstthematisierung zur Sprache kommen, sind der altar und ein über dem Altar angebrachtes Gemälde. Dass der Altar als das sakrale Zentrum des Kirchenraums bereits unmittelbar nach Eintritt zur Sprache kommt, erstaunt nicht. Aufgrund seiner Platzierung über dem Altar kommt dann durch die vertikale Aufwärtsbewegung ihres Blicks das Gemälde in den Blick und in die Exothese. Dass sich jedoch eine kleine, relativ weit entfernte und fast im Gewölbebereich platzierte Christusdarstellung in einem Fenster zu diesen - motiviert thematisierten - Objekten gesellt, ist hingegen schon bemerkenswert. Fast ist man geneigt anzunehmen, man könne diese unscheinbare - sich der visuellen Wahrnehmung und schon gar nicht einer exothetischen Relevantsetzung in keiner Weise aufdrängende - Christusdarstellung nur identifizieren, wenn man weiß, dass sie sich oberhalb des Altarraums als künstlerische Gestaltung der Rosette befindet. Oder aber es gibt eine spezifische Orientierung auf diese Darstellung, die sie aufgrund einer starken Vororientierung unmittelbar selbst relevant macht.

Zur zweiten Thematisierung kommt es, als sich Saskia die bereits erwähnten großen Gemälde anschaut.

135 SA: ach jesus als kind

136 (2.0)

137 mit maria und josef

138 (2.0)

139 schätz ich mal

Saskia ist nicht nur die einzige, die bei der Betrachtung und Thematisierung der Darstellung des ersten Gemäldes eine auf die Person von Christus bezogene Interpretation formuliert. Sie ist darüber hinaus auch die einzige, die über die Person Jesus Christus einen Zusammenhang zwischen den beiden, an der linken Seite wandfüllend angebrachten Gemälden herstellt (Bild 1: als kind, Bild 2: kurz vor dem tod). Interessant ist in diesen Zusammenhang, dass sie dann noch die Darstellung Jesus durch das Kruzifix (der gekreuzigte Christus) erweitert (hier dann gekreuzigt).

Bild 2

Bild 3

176 SA:nh als kind

177 kurz vor dem tod

178 (1.5)

179 hier dann gekreuzigt

Saskia thematisiert jedoch nicht nur den durch die Darstellungen der beiden Gemälde motivierten Zusammenhang „unterschiedliche Stadien im Leben Jesus Christus“. Vielmehr verdeutlicht die Tatsache, dass sie das vor dem Altarraum stehende Kruzifix mit hier dann gekreuzigt in diese lebensund leidensgeschichtliche Perspektive integriert, dass die Konsistenzorientierung nicht durch die Art der (hier bildlichen) Darstellung motiviert ist. Vielmehr besitzt sie eine von der Objektspezifik unabhängige Relevanz, die sich über die Grenzen der Objektbeschaffenheit die Möglichkeit einer objektunabhängigen, konsistenten Thematisierung sucht und schafft.

Das „Suchen“ ist hier durchaus eine motivierte analytische Beschreibung, die genau auf den eben explizierten konstruktiven Charakter ihrer Orientierung auf die Lebens- und Leidensgeschichte Jesus Christus verweist. Dies zeigt sich bei ihrem weiteren Gang durch den Kirchenraum (sie ist inzwischen vor dem Altar angelangt), bei dem die konstruktive, durch eigene Relevanzen motivierte Orientierung auf Jesusdarstellungen unmittelbar in der sprachlichen Form deutlich wird.

202 SA:wo isser da

203 (-)

204 des oben ismaria (1)

205 (2.5)

206 ach der sargist leer (2)

207 ach j a

208 die platte vom grab ist

209 weggerollt

Bild 4

Die Frage wo isser da, mit der Saskia das über dem Altar hängende Gemälde thematisiert, macht deutlich, dass sie tatsächlich auf der Suche ist und davon ausgeht, dass sie auch da eine Darstellung von Jesus Christus finden wird. Die Thematisierung stellt diese Abbildung, bei der Jesus selbst nicht zu sehen ist, als Auferstehungsdarstellung und damit als letzte Etappe der Geschichte Jesus Christus auf Erden in die bislang bereits strukturierte Abfolge zentraler Lebens- und Leidensepisoden dar (Bild 5). Dass hier Jesus Christus von Saskia thematisiert wird, verdeutlicht ihre Äußerung die platte vom grab ist weggerollt. Sie ist das Zitat aus einem Kirchenlied über die Auferstehung Jesus Christus. Faktisch handelt es sich bei dem Gemälde jedoch nicht um eine Christusdarstellung, sondern um die bildliche Gestaltung der in den Himmel aufgefahrenen Maria (mit ihrem offenen Grab), was die konstruktivistische Qualität ihrer Thematisierung umso deutlicher macht8.

Es gibt noch zwei weitere Thematisierungen von Jesusdarstellungen: jesus (4.0) mit jemandem ((lacht kurz)) taube oben (Zeile 352-356). Saskia beschreibt hier ein Gemälde, das die Taufe Jesus durch Johannes dem Täufer zeigt und das Bestandteil eines Taufensembles aus Taufbecken, Bank und Gemälde ist. In besonderer Weise interessant ist die letzte Thematisierung, da sich hier bezogen auf die Darstellungen Christi der Kreis schließt. Saskia, die sich bereits zur Ausgangstür begeben hat, geht noch einmal einige Schritte im Mittelgang in Richtung Altar und kommentiert dabei, dass sie sich ja noch das Fenster anschauen wollte. Es handelt sich um die kleine Rosette, die sie bereits kurz nach ihrem Eintritt mit den Worten fenster mit jesus thematisiert hatte. Diese Darstellung beschreibt sie nun als: das is (2.0) jesus auf jeden fall ja (-) portraitmäßig (Zeile 394-397). Im gewissen Sinne folgt sie dabei einer Vollständigkeitsorientierung, bei der tatsächlich keine der im Raum befindlichen Jesusdarstellungen ausgelassen wird.

Die Darstellung (portraitmäßig) Jesus Christus steht nicht nur, was seine Platzierung betrifft, sondern auch im übertragenen Sinne und ohne szenischen Kontext über allen anderen Darstellungen. Darin das Portrait des in den Himmel Aufgefahrenen zu sehen, der nicht mehr von dieser Welt ist, ist jetzt keine große interpretative Anstrengung mehr.

All diese Thematisierungen zeigen, dass sich die exothetische Relevanz der Person Jesus Christus (es gibt insgesamt sechs Thematisierungen) wie ein roter Faden durch die gesamte Kirchenbesichtigung Saskias zieht. Es ist vor allem diese Rekurrenz und die teilweise nicht unmittelbar im Objekt selbst hervorgehobene Darstellungsqualität, die ihre Orientierung auf Darstellungen von Jesus Christus in den Verdacht bringt, konstitutiv für ihr Konzept der Kirchenbesichtigung zu sein 9 Saskia hat mit der lebens- und leidenszyklischen Rekonstruktion der Christusdarstellungen in den Kirchenraum einen darstellungslogischen Sinnzusammenhang hineinkonstituiert, der unabhängig von ihren mitgebrachten Relevanzen in die zufällige Anwesenheit von Gemälden, Fenstern und Objekten zerfällt.

Der Kirchenraum als architekturgeschichtlicher Zusammenhang. Ebenso wie Aurelia und Saskia bringt auch Anton unmittelbar nach seinem Eintritt in die Kirche einen Aspekt zur Sprache, der sich als für seine Kirchenbesichtigung und - analytisch gewendet - für die Rekonstruktion seines

Kirchenbesichtigungskonzeptes als strukturprägend erweist. Eine seiner ersten exothetischen Aktivitäten bezieht sich auf die Architektur des Kirchenraums und verdeutlicht, dass er hinsichtlich der Raumarchitektur klare mitgebrachte Relevanzen besitzt. Nach seinem Eintritt in den Raum verweilt Anton für eine Weile am Fuße der Treppe und verschafft sich einen Gesamteindruck des Raumes. Er blickt dabei zunächst nach vorne zum Altar und begleitet seine visuelle Wahrnehmung mit folgenden Worten:

10 AN: das ist ja auch merkwürdig

11 (2.0)

12 das mittelschiff

13 (1.0)

Dann schaut er nach rechts (Bild 6) und formuliert das, was er wahrnimmt, als ein rechtsschiff.

Bild 5

14 AN:(2.0)

Dann lässt er seinen Blick nach links wandern (Bild 7) und produziert dabei als Beschreibung dessen, was er sieht, die Äußerung und linksschiff scheint da nicht zu sein. Hat er die visuelle Wahrnehmung der rechten Raumhälfte konstativ als rechtsschiff benannt, so bringt er beim Blick zur linken Seite eine Vermutung zum Ausdruck, die auf seine Erwartung verweist, auch dort ein Seitenschiff vorzufinden. Diese Erwartung wird jedoch enttäuscht.

15 AN: und linksschiff scheint

16da nicht zu sein

Bild 6

Anton formuliert hier also zum einen sofort und explizit eine Merkwürdigkeit, was ganz allgemein auf Wissensgrundlagen verweist, die zur Beurteilung und Evaluierung des visuell Wahrgenommenen als merkwürdig notwendig sind. Zum anderen wird der Gesamtraum in seiner basalen Struktur, die für die Merkwürdigkeit verantwortlich ist, thematisiert und dabei unter Rückgriff auf architektonisches Spezialwissen präzise bezeichnet. Vor allem die Vermutung linksschiff scheint da nicht zu sein verdeutlicht seine auf Symmetrie basierende Erwartung hinsichtlich des Grundrisses der Kirche: Wo es ein Seitenschiff gibt, „muss“ es auch ein zweites Seitenschiff geben!

23 AN: tatsächlich

25 das ist einvollständiges

26 schiff

28 und hier (.)

29 ab hier istes zugemauert

Diese nicht erfüllte Symmetrieerwartung ist so stark, dass Anton im gewissen Sinne die visuell wahrgenommene Realität exothetisch seinen Erwartungen anpasst. Während er mit Blick in das rechte Seitenschiff dieses als vollständig charakterisiert, normalisiert er mit Blick auf die linke Kirchenraumseite das Wahrgenommene mit ab hier ist zugemauert. Seine normative Erwartung ist damit im gewissen Sinne geheilt: Nachträgliche Eingriffe haben das Linksschiff zum Verschwinden gebracht, das ursprünglich (sonst hätte man es nicht zumauern können) einmal vorhanden war10.

30 AN:(2.0)

31 vorher warns nischen (.) ja

Die sprachliche Beschäftigung mit dem nicht (mehr) vorhandenen Linksschiff wird dann noch mit dem Hinweis vorher warns nischen expandiert. Damit wird thematisiert, dass die Orgel in einer Art Nische am Beginn des ursprünglichen Linksschiffs steht. Diese Äußerung fungiert (neben dem zugemauert) als weiteres Argument für die Richtigkeit seiner normativen Symmetrieerwartung. Betrachtet man diese Normalisierungsaktivitäten, dann macht die Redeweise von der situativen Konstitution des Kirchenraums tatsächlich Sinn. Denn das faktisch visuell Wahrgenommene wird konzeptbezogen so lange sprachlich bearbeitet, bis Anton damit leben kann.


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